Prof. Dr. Gerhard Vinnai

Universität Bremen

Start Biographie Bücher Texte Impressum Kontakt

Das Diana-Syndrom - Über eine Unfähigkeit zu trauern

Erschienen in: "Widersprüche : Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich" / hrsg. vom sozialistischen Büro / Heft 68 / Juni 1998 / Bielefeld / Kleine-Verlag

Obwohl sie nur als Phantasma der Massenmedien, aber kaum als reale Person vertraut war, hat der Tod einer englischen Prinzessin bei vielen Menschen in aller Welt eigentümliche Formen kollektiver Trauer ausgelöst. Auch nachdem sie begraben ist, bleiben viele Emotionen an ihr Schicksal gebunden. Ein Blick auf Zeitungskioske oder die Auslagen von Buchhandlungen zeigt, daß die Bindung an die Medienprinzessin noch immer großen ökonomischen Gewinn verspricht. Welchen verborgenen Sinn haben derartige irrationale Massenregungen? Welche soziale Misere bringen sie insgeheim als ein Symptom zum Ausdruck? Mit Hilfe einer psychoanalytisch orientierten Sozialpsychologie in gesellschaftskritischer Absicht soll dies untersucht werden.

I.

Was ruft die massenhafte emotionale Anteilnahme an dieser Medienfigur hervor? Warum identifizieren sich Unzählige mit ihrem Schicksal? Warum wird sie so "geliebt", daß ihr Ende als schmerzlicher Verlust erfahren wird? Wie ist sie mit denen verwandt, die so leidenschaftlich um sie zu trauern scheinen? Zu Lady Di läßt sich eine Beziehung herstellen, weil sie auch als Prinzessin Züge aufweist, die jedem, oder zumindest jeder Frau, in unserer Gesellschaft mehr oder weniger vertraut sind. Ihr Schicksal ist in vielem dem Schicksal derer ähnlich, die sich für sie interessieren. Sie führt, was heute weit verbreitet ist, eine unglückliche Ehe, die mit der Scheidung endet; sie träumt von einem Liebhaber, mit dem sie endlich ihr Glück machen kann; sie versteht sich nicht mit ihrer Schwiegermutter; sie leidet an Selbsthaß und Depressionen; sie möchte in einer kalten Welt ein guter Mensch sein; sie hat sich, wie fast jede Frau heute, mit schwierigen Emanzipationsprozessen auseinanderzusetzen. Die Medienprinzessin repräsentiert also in mancher Hinsicht ein typisches Frauenleben in unserer Zeit. Zugleich ist ihr Leben aber auch ganz anders als dieses Leben. Sie lebt ein normales Frauenschicksal, aber auch ein Schicksal in einer anderen Welt; sie erscheint als die kleine Frau Jedermann und zugleich als die ganz andere, große, bedeutsame Frau. Die normale Frau, die sich mit der Prinzessin beschäftigt, leidet unter einem Mangel an liebevoller Zuwendung, die Prinzessin als "Königin der Herzen" wird von allen geliebt. Die normale Frau leidet an einem Mangel an Beachtung, die Prinzessin ist immer und überall im Mittelpunkt des Interesses. Die normale Frau sieht nur relativ gut aus, die Prinzessin gilt als wunderschön. Die normale Frau leidet unter Geldmangel, die reiche Prinzessin hat niemals Geldsorgen. Die normale Frau sitzt viel zu Hause, die Prinzessin macht ständig interessante und wichtige Reisen. Die normale Frau muß bei ihrem normalen Mann ausharren, die Prinzessin hat endlich ihren orientalischen Prinzen gefunden. Die normale Kindergärtnerin bleibt immer Kindergärtnerin, die Kindergärtnerin Diana wird als zukünftige Königin auserwählt. Die Prinzessin ist nicht nur wie viele, sie ist vor allem, wie viele gerne wären. Sie steht für das, was andere gerne sein oder tun möchten, sie steht für das, was Psychoanalytiker als "Ich-Ideal" bezeichnen. Für die englische Prinzessin interessiert man sich nicht, weil sie als Person oder politische Instanz für ihre Anhänger besonders bedeutsam ist, sondern weil sie so zu sein scheint wie wir und unsere Wünsche. Sie repräsentiert das Selbstbild von vielen und steht für die Welt ihrer Wünsche: Die große kleine Frau ist uns insgeheim zum Verwechseln ähnlich. Über die Beziehung zu dieser Medienfigur haben wir kaum eine Beziehung zu dem Menschen, der sich hinter ihr verbirgt, wir stellen nur eine narzißtische Beziehung zu einer Projektionsfläche her, in der wir ein Bild von uns selbst und unsere Wünsche sehen wollen. Das Mitleid mit Diana ist deshalb kaum mehr als Selbstmitleid; die scheinbare Trauer um ihren Tod bringt vor allem die Trauer über unser alltägliches Schicksal und die Vergeblichkeit und den Tod unserer Wünsche zum Ausdruck. Die sie beweinen, beweinen vor allem ihr eigenes Leben.

Normale Menschen sterben heute meist einen einsamen, wenig beachteten Tod im Krankenhaus, Diana hingegen stirbt einen großen, allseits beachteten, dramatischen Tod. Zum Alltag in dieser Welt gehört der schleichende alltägliche Tod, der die Kräfte aufzehrt und durch den Lebendiges zum mechanischen Ritual erstarrt. Diana und ihrem Liebhaber bleibt diese tödliche Trivialisierung wie Shakespeares Romeo und Julia durch eine Art Liebestod erspart. Sie sterben, bevor ihre erotische, die Phantasie beflügelnde Anziehungskraft der Routine des Alltags geopfert werden muß. Diejenigen, die Dianas Tod betrauern, sind ihr gegenüber aber nicht nur im Nachteil. Sie dürfen ihren schlimmen Tod auch mit einem Gefühl angenehmen Gruselns zur Kenntnis nehmen, das aus dem Bewußtsein resultiert, sie trotz ihrer Privilegien überlebt zu haben. Trauernden Hinterbliebenen bleibt immer der geheime Triumph über die Toten, länger als sie gelebt zu haben. Die Berührung mit dem Tod kann das Gefühl intensivieren, am Leben zu sein.

Viele Menschen identifizieren sich mit dem Schicksal Dianas, das erlaubt es ihnen zugleich, sich auch untereinander zu identifizieren. Die gemeinsame Identifikation mit dem Medienidol erzeugt eine Massensituation, in der sich viele Menschen einander näher fühlen können, auch wenn sie sich ansonsten fremd bleiben. Das Gefühl der gemeinsamen Anteilnahme schafft ein Gefühl der Verbundenheit bei denen, die sich sonst allzu häufig als Isolierte erleben müssen. Wo sich Menschen wenig als soziale, in Solidarität miteinander verbundene Wesen erfahren dürfen, wollen sie sich wenigstens auf illusionäre, von den Medien veranstaltete Weise einander nahe fühlen.

In durch kollektive Identifikationen hergestellten Massensituationen können Gefühle und Sehnsüchte freigesetzt werden, die bei Einzelnen eher der Verdrängung verfallen. Sigmund Freud schreibt in seinem Text 'Massenpsychologie und Ich-Analyse': "Es genügt uns zu sagen, das Individuum komme in der Masse unter Bedingungen, die ihm gestatten, die Verdrängung seiner unbewußten Triebregungen abzuwehren." Das durch kollektive Identifikationen hergestellte Gefühl wechselseitiger Verbundenheit erlaubt eine Höherspannung der Affekte, es reduziert die individuellen Selbstkontrollen. Die Synchronisierung von Affekten läßt diese deutlicher zum Ausdruck kommen. Jeder Besuch einer Fußballarena, eines Konzertsaals oder einer politischen Massenveranstaltung erlaubt die Erfahrung, daß kollektives Erleben eine besondere Intensität annehmen kann. Der Abbau von psychischen Kontrollmechanismen in Massensituationen erlaubt eine Freisetzung von Gefühlen, die den individuellen Verstand aussetzen oder reduzieren können, das erleichtert es, sich ihnen kritiklos hinzugeben. Bezogen auf Diana äußert sich eine solche kollektive Befindlichkeit auf relativ harmlose Art und Weise, der von Faschisten organisierte Massenwahn während des Dritten Reiches hat ihre ganze Gefährlichkeit offenbart.

II.

Das massenhafte Interesse am Tod der englischen Lady erscheint Menschen mit kritischem Verstand als kollektive Flucht vor anstehenden sozialen und politischen Problemen. Die Beschäftigung mit den Sorgen des englischen Hochadels dient demnach der Verweigerung der Beschäftigung mit eigenen belastenden Realitäten durch die Flucht in eine fragwürdige Gefühlswelt. Der "Spiegel" sieht im "Diana-Effekt" den "Sieg der Emotionen über die Vernunft." Dies ist sicher richtig, aber es ist nur die halbe Wahrheit. In der Flucht vor der Misere der Gegenwart kehrt diese Misere auf eigentümliche Art wieder; das, wovor man flieht, holt einen auch in der Welt der Phantasmen ein. Viele Menschen werden heute durch die Krisentendenzen der unsere Gesellschaft prägenden kapitalistischen Ökonomie sehr stark psychisch belastet. In der übersteigerten Beschäftigung mit dem Ende der Prinzessin erfolgt nicht nur eine Flucht vor kapitalistischen Realitäten in die vorkapitalistische Welt der Aristokratie, in ihr werden auch auf eigentümliche Art die seelischen Belastungen bearbeitet, die der Kapitalismus heute auferlegt. Die Auseinandersetzung mit dem Tod von Diana enthält auf verdeckte Art die Auseinandersetzung mit den "tödlichen" Bedrohungen, die von ökonomischen Zwängen in der Konkurrenzgesellschaft ausgehen. Dianas Tod hatte seine unmittelbare Ursache vielleicht nur in der Trunkenheit eines Chauffeurs, aber er erscheint als Tod, den ein skrupelloser Journalismus auf dem Gewissen hat. Die Paparazzi, die für ihren Tod verantwortlich gemacht werden, arbeiten für eine Sensationspresse, die kapitalistisches Gewinnstreben auf besonders hemmungslose Art vertritt. Diana ist somit das Opfer von menschenverachtenden Auswüchsen des ungehemmten Kapitalismus. Aber nicht nur skrupellos am Gewinn orientierte Medienunternehmen sind am Tod Dianas schuld, schuld sind auch alle, die deren Produkte kaufen, die sich auf mehr oder weniger schamlose Art auf ihr Leben und ihren Tod stürzen. Schuld liegt bei kommerziell orientieren Medienunternehmen und bei denen, die ihre Produkte erwerben, welche sich skrupellos in das Leben anderer einmischen. Die Trauer über Dianas Tod dient nicht nur der Bearbeitung des Endes einer narzißtisch besetzten Medienfigur, die uns über viele Jahre begleitet hat, sie dient auch, obwohl das weniger sichtbar ist, der Bearbeitung dieser Schuld. Sigmund Freud hat in seiner Schrift 'Trauer und Melancholie' deutlich gemacht, daß die Trauer von Hinterbliebenen nicht zuletzt der Bearbeitung von Schuldgefühlen gegenüber den Verstorbenen dient. Die Trauer enthält die Auseinandersetzung mit dem Gefühl, das Ende des anderen durch Lieblosigkeit beschleunigt oder gar herbeigeführt zu haben. Sie dient der Bearbeitung der Erfahrung, daß man Toten gegenüber nichts mehr gutmachen kann, daß das Versagen ihnen gegenüber nicht mehr aufzuheben ist. Die verdeckten oder offenen Aggressionen und Todeswünsche, die andern gegenüber unvermeidlich sind, führen bei deren Tod zu einem Gefühl der Schuld. Die Trauer um Diana enthält unbewußte Schuld und Scham wegen der hemmungslosen Neugierde, mit der wir sie verfolgt haben. Die Betroffenheit angesichts Dianas Ende hat aber nicht primär mit ihrer Person zu tun, Diana ist eine Art Metapher, die auf gesellschaftlich erzeugte Schuldzusammenhänge verweist, die eine immer rücksichtsloser werdende Konkurrenzgesellschaft hervorbringt. In ihr können Menschen nur erfolgreich überleben, indem sie andere bei der Vertretung ihrer individuellen wirtschaftlichen Interessen bedrohen, beschädigen oder zum sozialen Tod verurteilen. Die immer erbarmungsloser werdende ökonomische Rivalität, die die mitmenschliche Solidarität untergräbt, zwingt alle, die nach ihren Regeln leben müssen, sich andern gegenüber kalt und rücksichtslos zu verhalten. Diana steht insgeheim für die Opfer dieses Schuldzusammenhanges, in dem wir alle, mehr oder weniger, Täter und Opfer zugleich sind. Mit dem Tod von Diana, die als Opfer eines rücksichtslosen Kampfes um das Geld betrauert wird, betrauern viele ihr eigenes, von der Ökonomie auferlegtes Schicksal. Auf merkwürdige Art kommt in dieser Trauer freilich auch die Sehnsucht zum Ausdruck, diesem Schuldzusammenhang zu entrinnen, oder Leid und Schuld wenigstens gemeinsam zu tragen, die er seinen Opfern auferlegt, die wir alle, wenn auch in unterschiedlichem Maße, sind.

Wenn sich in einer Gesellschaft, die sich als demokratische Gesellschaft von Bürgern versteht, eine besondere Anhänglichkeit an königliche Reste feudaler Epochen zeigt, so ist sie nicht das, was sie zu sein glaubt. Der Anhänglichkeit an Königshäuser liegt keineswegs nur die irrationale psychische Verfaßtheit von vielen zugrunde, sie ist auch, und das nicht zuletzt, Ausdruck der irrationalen vordemokratischen Elemente der Organisationsformen unseres Gemeinwesens. Der Faszination durch die Reste des Feudalismus entspricht eine Tendenz unserer Gesellschaft zum "Industriefeudalismus", die nicht nur erkämpfte demokratische Mitspracherechte zurücknimmt, sondern auch das zerstört, was bürgerliche Kultur ausmacht. Eine Politik, die sich fast nur noch für die Sicherung von "Industriestandorten" interessiert, muß sich an den Interessen von Großunternehmen orientieren, deren Organisationsformen keineswegs demokratischen Prinzipien entsprechen und die mit den vorhandenen politischen Strukturen auch kaum demokratisch kontrolliert werden können. In vorbürgerlichen, aristokratisch geprägten Epochen war die Kultur auf höfische Zentren hin organisiert, sie diente nicht zuletzt dem Ruhm von adligen Herren. Nach einer Kultur, die, zumindest zu wichtigen Teilen, durch unabhängige Privatleute und die Steuergelder aller Staatsbürger ermöglicht wurde, erleben wir heute eine Kultur, die immer mehr zum Anhängsel der Warenwerbung von Großunternehmen wird. Die höfische Kultur, die sich, zumindest partiell, zu einer demokratischen Kultur von Bürgern weiterentwickelt hat, fällt heute auf ein Niveau zurück, wo sie vor allem der Imagepflege von Großunternehmen, aber kaum den Interessen und Bedürfnissen von Bürgern dient, die um ihre Emanzipation bemüht sind. Entgegen der offiziellen Propaganda, die den offenen Markt für alle Tüchtigen preist, erfahren die meisten Menschen unserer Gesellschaft, daß ihr Schicksal von dem "Glück" abhängt, zum Gefolge eines industriellen Potentaten zu gehören, der die Macht hat, sich im Kampf mit den anderen Nachfahren des offenen Marktes zu behaupten. Das Überleben hängt heute für immer mehr Menschen daran, "Hintersassen" eines durchschlagskräftigen ökonomischen Machtzentrums zu sein. Die feudalen Reste unserer Gesellschaft erreichen nur dadurch eine besondere kollektive psychische Bedeutung, daß in ihr der Rückfall hinter bürgerliche Emanzipationsstufen und die Rücknahme demokratischer Teilhaberechte verordnet wird.

Die Psyche der Menschen ist, wie die Psychoanalyse deutlich gemacht hat, meist so an die individuelle und kollektive Vergangenheit gefesselt, daß sie den Ansprüchen der Gegenwart kaum gerecht werden kann. Besonders heute kann die seelische Entwicklung der Menschen den sich immer mehr beschleunigenden ökonomischen und sozialen Prozessen kaum noch gewachsen sein. Fixierungen an Vergangenes und aktuelle psychische Überlastungen, die durch soziale Krisensituationen hervorgerufen werden, führen zu individuellen und kollektiven Regressionen. In einer Gesellschaft, in der immer mehr Lebensbereiche von der unpersönlichen Macht des Geldes regiert werden und sich Menschen von bürokratisch strukturierten politischen Großorganisationen nur noch anonym verwaltet fühlen, entsteht der Wunsch nach persönlicheren Beziehungen, die das Soziale bestimmen sollen. Wo sich dieser Wunsch nicht auf selbsttätige demokratische Art Geltung verschaffen kann, bindet er sich leicht an eine idealisierte Vergangenheit. Wo die sozialen Bedürfnisse an unpersönlichen sozialen Mächten abprallen und die Gesellschaft ihren Mitgliedern aufgrund ökonomischer und politischer Abhängigkeiten ein mündiges Erwachsensein verwehrt, wächst die Zuneigung zu den Überresten des feudalen Zeitalters. Während unsere Gesellschaft heute weitgehend von der anonymen Macht des Marktes regiert wird, spielten im Feudalismus persönliche Abhängigkeiten und Treueverhältnisse noch eine wichtige Rolle, Machtpolitik war noch mit emotional leichter zu besetzender Familiengeschichte am Hofe verbunden. Das erlaubt es, die Reste der Adelsherrschaft, zumal man ihre Schattenseiten nicht mehr zu spüren bekommt, mit Wünschen aufzuladen.

Der Tendenz zum gesellschaftlich organisierten Rückfall hinter erreichte Stufen der sozialen Emanzipation entspricht ein fragwürdiger Drang zum Familiären. Daß Menschen zu sozialen Wesen werden, daß sie kultur- und politikfähig werden, verlangt die Ablösung von kindlichen Bindungen an die Herkunftsfamilie. Es verlangt, daß begrenzende familiäre Orientierungen durch das Interesse an umfassenden sozialen Zusammenhängen abgelöst werden. Der Drang zur Flucht vor belastenden sozialen Realitäten begünstigt die Regression zu familiären Beziehungserfahrungen, die auf soziale Strukturen übertragen werden, denen sie nicht angemessen sind. Das Interesse am englischen Königshaus entspringt dem Wunsch, in einer Welt voll anonymer sozialer Zwänge Familiäres zu entdecken, mit dem man sich identifizieren kann. Die Adelsherrschaft, deren Reste faszinieren, ist ebenso wie die Familienverhältnisse, die uns vertraut sind, vom Prinzip der Blutsbande bestimmt. Am Königshaus, das die Medien zeigen, gibt es Konflikte und das Bemühen um Liebe wie in den Familien, die wir kennen. Die Identifikation mit dem Familiären in einer scheinbar großen Welt verspricht in einer als fremd und anonym erfahrenen Welt Orientierung und "seelische Winterhilfe" (Adorno). Wo die soziale Realität auf eine unpersönliche Art als bedrohlich erfahren wird, sucht man nach Elementen des Sozialen, die Vertrautheit und Wärme suggerieren. Der Regression zum Familiären entspricht die Neigung zum Märchenhaften, das in der Kindheit fasziniert hat. Die Geschehnisse im englischen Königshaus werden nach Mustern vorgeführt und erlebt, die der kindlichen Märchenwelt entsprungen sind: Es gibt dort gute und falsche Prinzen, das Aschenputtel Diana und die Königin als böse Stief- bzw. Schwiegermutter.

III.

Die Gesellschaft erlegt ihren Mitgliedern Opfer auf, die für ihren Zusammenhalt und ihr arbeitsteiliges Funktionieren notwendig sind. Glücksansprüche, Triebregungen und Interessen müssen der Anpassung an geltende soziale Normen geopfert werden. In sozialen Krisensituationen wachsen die Opfer, die Menschen abverlangt werden, und es wird schwieriger, sie noch als sinnhaft und gerecht zu erfahren. In früheren christlicheren Epochen wurden eigene Opfer und das mit ihnen verknüpfte Leid mit Hilfe der Jesusfigur bearbeitet. Jesus repräsentierte ein ideales Opfer, das zum Heil der Welt und einzelnen Menschen sein Leben hingegeben hat. Durch die Identifikation mit ihm konnten die Opfer, die Christen zu tragen hatten, seelisch erträglicher gemacht werden. Die Opfer in der Gegenwart konnten als Voraussetzung für ein zukünftiges Heil im Jenseits interpretiert werden. Mit dem Zerfall der Bedeutung des Christentums muß die Kultur andere Sinngestalten zur Verfügung stellen, die zur Bearbeitung individueller und kollektiver Opfer genutzt werden können: Diana gehört zu ihnen. Sie stellt ein "ideales Opfer" in einer Gesellschaft dar, die vom rücksichtslosen, über Massenmedien vermittelten ökonomischen Machtgebrauch bestimmt wird; sie repräsentiert den guten Menschen, der das Opfer von lieblosen herrschenden Mächten wird. Mit ihr verknüpft sich der "Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt" (Marx), das früher in der Religion seinen Ausdruck fand. Obwohl ihr wirklicher Lebenswandel dem kaum entspricht, wird sie zu einer Art Heiligen, die von finsteren Mächten zur Strecke gebracht wird. Als unschuldiges Opfer und Freundin der Kinder und Schwachen gerät sie in die Nähe zum Jesushaften; als sich aufopfernde, liebende Mutter, die in einer "Josefsehe" ausharren muß, wird sie zur Verwandten der Jungfrau Maria. Indem sie von den Medien zum Prototyp des unschuldigen Opfers zurechtstilisiert wird, können die, die ihr anhängen, ihre Existenz als Opfer sozialer Verhältnisse auf fragwürdige Art bearbeiten. Mit Hilfe der Projektionsfigur Diana können die Opfer, die den Vielen auferlegt werden, auf angepaßte Art psychisch rationalisiert werden.

Die Fixierung an Diana entspringt einer bestehenden sozialen Misere, ein massenhaftes seelisches Elend, das sozialen Krisentendenzen entspringt, verschafft sich auf verzerrte Art mit Hilfe der Medienprinzessin Geltung. Mit ihr wird soziales Leiden so zum Ausdruck gebracht, daß es zugleich verhüllt wird. Die Trauer um Diana ist das Gegenteil von wirklicher Trauer. Wirkliche Trauer bedeutet, sich mit dem eigenen Unglück und mit der eigenen Verlassenheit auseinanderzusetzen, um dadurch Neues möglich zu machen. Sie duldet keine Verschiebung der Trauer auf falsche Objekte. Gelingende Trauerprozesse erfordern es, Verluste bewußt zu bearbeiten und sich dem Leben danach auf neue Art wieder zu öffnen. Sie münden trotz des Schmerzes, den sie mit sich bringen, in mehr Lebenserfahrung, in reifere Beziehungen zu Realitäten. Diejenigen, die glauben, Diana zu betrauern, und dabei auf verleugnende Art nur sich selbst meinen, stellen sich kaum ihrer eigenen Misere, um an deren Überwindung zu arbeiten, sie verfallen den Tröstungen der Flucht in eine medial inszenierte Scheinwelt. Die Trauer um Diana löst nichts, beendet nichts, öffnet keine neuen Möglichkeiten, sie fixiert vielmehr mit Hilfe der Flucht in Phantasmen an das schlechte Bestehende. Dabei hätten viele Grund, ihr Schicksal zu betrauern und über die Loslösung von existierendem Unglück durch die Veränderung von Realität nachzudenken. Die bestehende kapitalistisch geprägte Industriegesellschaft zeichnet sich durch wachsende soziale Ungerechtigkeit aus, sie demonstriert immer mehr Menschen, die als Arbeitskräfte nicht mehr gebraucht werden, ihre soziale Überzähligkeit, sie opfert die Kultur auf schlimme Art dem Kommerz, ihr Verhältnis zur Natur bedroht die Grundlage allen Lebens. Zugleich gibt es in dieser Gesellschaft seit dem Scheitern des osteuropäischen Staatssozialismus, einen allgemein geteilten Konsens, daß es keine moderne soziale Ordnung jenseits des Kapitalismus mehr geben kann und soll, daß die Probleme, die er mit sich bringt, als naturhaft gegeben akzeptiert werden müssen. Eine Gesellschaft aber, die sich im Angesicht einer wachsenden sozialen Krise keine andere Zukunft mehr zutraut, muß ihr Unglück auf wahnhafte Art mit Hilfe einer Medienprinzessin betrauern.